Die Begeisterung für die Physik begleitet Adrian Paulus schon so lange er sich erinnern kann. Waren es zunächst das Sonnensystem und die Raumfahrt, die sein Interesse weckten, faszinierten ihn schließlich präziseste Messungen und kleinste Strukturen am meisten. Am Walter Schottky Institut beschäftigt er sich heute mit Kristallen in der Größenordnung meherer Mikrometer und Materialien, die so dünn sind, dass sie als zweidimensional bezeichnet werden.
Von Veronika Früh
„Wenn Leute mich fragen, was ich eigentlich mache, sage ich immer, ich arbeite halt viel mit Tesafilm.“ Adrian Paulus sitzt in einer sonnigen Sitzgruppe am Forschungscampus Garching und lacht, als er seine Arbeit so zusammenfasst. Der 26-Jährige ist MQV-Stipendiat am Walter Schottky Institut (WSI) und beschäftigt sich im Rahmen seiner Promotion mit zweidimensionalen (2D) Materialien. Handelsüblicher Tesa ist für ihn tatsächlich ein wichtiges, alltägliches Werkzeug bei der Fabrikation seiner zweidimensionalen Proben. Er benutzt den Klebefilm, um von zentimetergroßen Kristallen einzelne Schichten abzuziehen, zu exfolieren. Das Besondere an den Ausgangskristallen ist, dass die Atome darin in zwei Dimensionen stark gebunden, in der dritten Dimension aber nur sehr schwach gebunden sind. Diese Eigenschaft macht der Physiker sich zunutze, um einzelne Monolagen herzustellen. „Ich wünsche mir als Laborassistenz eigentlich eine Gruppe begeisterter Grundschulkinder, die im Werkunterricht einfach den ganzen Tag für mich exfolieren, das wäre super“, scherzt er.
Ein bisschen mehr gehöre dann aber doch dazu, räumt der Doktorand ein. Es sei viel Fingerspitzengefühl nötig, der richtige Winkel und die passende Geschwindigkeit, um eine gute Flake, eine kleine zweidimensionale Flocke, zu bekommen. Ob das Exfolieren erfolgreich war, überprüft Adrian unter dem Mikroskop. „Diese Kristalle sind meistens mehrere zehn Mikrometer groß. Das heißt, man muss wirklich mit dem Mikroskop suchen, man scannt also circa einen Zentimeter ab, um die zu finden“, erklärt er. „Das kann manchmal sehr lästig sein, aber manchmal auch sehr meditativ.“ Und ein bisschen wie Glücksspiel. Umso größer ist die Freude, wenn Adrian unter dem Mikroskop eine Flake entdeckt: „Dann fühlt man sich wie ein Gewinner, wenn man eine findet und wenn die auch noch besonders groß oder besonders schön ist!“
Die einzelnen Flakes schichtet Adrian dann mithilfe spezieller Stempel zu einer Probe aufeinander. „In der Community wird es häufig mit Lego-Bausteinen verglichen“, erklärt er den Vorgang, „aber ich finde den Vergleich schlecht, weil man Legosteine nicht gegeneinander verdrehen kann.“ Und gerade dieses Verdrehen sei wichtig für die Experimente, die später mit der Probe durchgeführt werden sollen: „Dadurch, dass man die 2D-Materialien zueinander verdreht, schafft man ein übergeordnetes Gitter und mit diesem Gitter implementiert man die Physik, die man untersuchen möchte.“ Adrian vergleicht die Stapelung der einzelnen Material-Lagen daher lieber mit einem Sandwich. Verschiedene Zutaten spielten eine unterschiedliche Rolle im System – „zum Beispiel hat man das Brot, das gibt dem System eine mechanische Stabilität“ – und je nach weiteren Zutaten ergebe sich ein anderer Geschmack. „Das Bauen solcher Stapel aus 2D-Materialien ist in gewisser Hinsicht auch eine Kunst. Für den Laien sieht jede Probe wie die andere aus, aber für uns haben manche Proben dann auch eine gewisse Schönheit“, führt er aus.
Noch steht Adrian relativ am Anfang seiner Promotion. „Es hat mich ein bisschen überrascht, aber es ist schon eine starke Umgewöhnung“, beschreibt er die ersten Monate als Doktorand. Die Eigenständigkeit und Freiheit, seine Messungen durchzuführen einerseits, die größere Verantwortung für die eigene Forschungsarbeit andererseits – „man merkt, dass man jetzt plötzlich auf einem anderen Level ist.“ Überraschend war die Umgewöhnung für Adrian vor allem deshalb, weil er seine Masterarbeit bereits in der gleichen Gruppe geschrieben hatte. Nach seinem Bachelor in Physik und Angewandter Informatik zog er von Göttingen nach München, um hier den Master „Quantum Science & Technology“ (QST) zu studieren.
Position
Institut
Walter Schottky Institut – Lehrstuhl für Halbleiter-Nanostrukturen und Quantensysteme
Studium
Physik, Angewandte Informatik, Quantum Science & Technology
Adrian arbeitet mit zweidimensionalen Materialien als experimentelle Plattform für analoge Quantensimulation. Damit kann er quantenmechanische Interaktionen überprüfen, die aufgrund ihrer Komplexität nicht mehr mit rechnerischen Methoden simuliert werden können.
Dass die Richtung, die Adrian einschlägt „irgendwas Physikalisches wird“, war schon lange klar. Eine gewisse Vorprägung in dieser Hinsicht habe er sicherlich von Zuhause mitbekommen, erzählt er, er komme „aus einem naturwissenschaftlichen Haushalt“. Schon im Kindergarten habe ihn das Sonnensystem fasziniert, über seine gesamte Kindheit hinweg habe ihn dann die Raumfahrt nicht mehr losgelassen. Den Ausschlag hin zur Physik gab dann ein Besuch des Gravitationswellendetektors „GEO600“ in der Nähe von Hannover. „Die sprachen davon, dass sie eine extreme Präzision erreichen müssen, um die Gravitationswellen zu messen“, erzählt Adrian. „Da habe ich realisiert, dass es nicht reicht, nur Mechanik zu verstehen, um etwas zu bauen, was wirklich cutting edge ist.“ Außerdem gebe die Physik einen richtig guten Überblick, wie die Welt funktioniert. In seinem zweiten Semester an der Georg-August-Universität Göttingen fing er zusätzlich zur Physik noch ein Studium in Angewandter Informatik an – „aus demselben Antrieb, um komplexe Dinge verstehen zu können“. Besonders das Anwendungsgebiet Neuroinformatik, der Versuch zu verstehen wie das Gehirn funktioniert, hatte es ihm angetan. Diese Faszination an Grenzen zu gehen, die der Wissenschaft ebenso wie seine eigenen, ist das, was ihn dabei bis heute antreibt und ihn auch durch das anstrengende Doppelstudium getragen hat. „Das war schon intensiv“, erinnert sich Adrian lachend, viel Zeit sei ihm daneben nicht mehr geblieben.
Bei der Frage, wie es nach dem Bachelor weitergehen sollte – „Mache ich so Neurozeug weiter, oder mache ich so Quantenzeug?“ – setzte sich schließlich der Fachbereich Quantencomputing bei Adrian durch. „Dadurch, dass ich mit dem Informatik-Background auch Computer einfach extrem spannend fand, dachte ich mir, Quantencomputing ist toll“, erzählt er. „Und dann war München einfach der ‘place to be‘ in gewisser Hinsicht.“ Dass man im QST-Master an den beiden Münchner Universitäten Ludwig-Maximilians-Universität und Technische Universität München studieren kann, überzeugte ihn. Zu München hat der Physiker außerdem einen persönlichen Bezug: Hier wurde er geboren und lebte er bis er vier Jahre alt war. Im Masterstudium wurde er auf das MQV-Promotionsstipendium aufmerksam, automatisch quasi, wie er erzählt, weil es in der Gruppe, in der er seine Masterarbeit schrieb, bereits mehrere Stipendiat:innen gab. Natürlich habe er sich Gedanken gemacht, für die Promotion in eine andere Gruppe, an ein anderes Institut zu wechseln. Am Ende war er in der Gruppe von Dr. Finley am WSI aber sehr zufrieden und entschied sich zu bleiben.
Nach mehreren Wochen, die Adrian im Reinraum zum Exfolieren und im Grauraum, einem etwas weniger partikelfreien Raum, zum Stapeln verbringt, ist seine Probe fertig. „Und idealerweise misst man sie dann“, fasst der Doktorand salopp den überwiegenden Teil seiner Arbeit, die Erforschung der Physik, zusammen. Die Probe wird im Kryostaten auf wenige Kelvin heruntergekühlt, die Optik für das bestmögliche Signal ausgerichtet und der Parameter-Bereich, der untersucht werden soll, festgelegt. Auch eine Messung kann sich, abhängig davon, was man gerade herausfinden möchte, über Wochen erstrecken.
Die 2D-Materialien dienen dabei als experimentelle Plattform für analoge Quantensimulation. „Was man unter analoger Quantensimulation versteht ist, dass man ein quantenmechanisches Modell in eine experimentelle Plattform steckt. Dann kann man die Komplexität der Quantenmechanik in einem realen Experiment überprüfen oder simulieren, was mit computergestützten Modellen nicht möglich ist“, erklärt Adrian. Vergleichbar sei das mit einem Windkanal, der für das Testen spezieller Eigenschaften benutzt wird, wo die Komplexität der Welt zu groß wird, um sie numerisch zu überprüfen. „Wir erschaffen einen Modellrahmen, in dem man die Physik überprüfen kann“, bringt es der Doktorand auf den Punkt.
Die atomar dünnen Halbleitermaterialien, mit denen Adrian arbeitet, gehören zur Familie der Übergangsmetalldichalkogenide, transition metal dichalcogenides auf Englisch, abgekürzt TMDs, „was viel einfacher zu schreiben ist“, meint der Physiker lachend. Diese Materialien seien toll, da man sie direkt mit Licht untersuchen könne. „Man schaut sich das Spektrum von diesen Materialien an und dann sieht man Physik. Es klingt ein bisschen stumpf, aber so ist es“, führt er mit Begeisterung in der Stimme weiter aus.
Zusammengefasst könne man im Wesentlichen zwei grundlegende Arten von Messungen durchführen, wenn man sich die optischen Eigenschaften dieser Materialien anschaue, erklärt Adrian. Zum einen könne man die Emission von einem mit einem Laser angeregten System messen, also das Licht, das das angeregte System wieder abgibt. „Dieses Spektrum ist beispielsweise davon abhängig, wie viele Elektronen man im System hat“, so der Physiker. Die Gitter-Struktur seiner Proben kann mit Elektronen befüllt werden. „Bei gewissen Elektronenfüllungen bildet sich Ordnung aus. Das System kristallisiert quasi, die Elektronen müssen mehr oder weniger an Ort und Stelle bleiben“, führt er aus. „Was man sich dann anschaut sind die ruckartigen Veränderungen in der Intensität der Emission, dass sie heller wird, oder dass sie ruckartig in der Wellenlänge springt.“ Anhand dieser Signaturen kann Adrian dann Rückschlüsse auf das System ziehen.
Zum anderen betrachtet Adrian die Reflexion oder Absorption des Materials. Die Probe wird dafür mit weißem Licht gestreichelt – „so nennt man das!“ – und an Stellen, an denen die Schichten resonant mit der Wellenlänge des Lichts sind, wird das Licht stärker absorbiert. Auch die Absorptionsstärke ist charakteristisch für das Material und lässt, wie die Emissionsstärke, Rückschlüsse auf das System zu. „Das sind die beiden grundsätzlichen Techniken, mit denen man anfängt. Dann kann man, wenn man möchte, komplexere Experimente drum rum bauen“, fasst Adrian zusammen. „Aber das Interessante ist, dass man mit so simplen Techniken schon extrem viel über sein System lernen kann.“
Mehr über komplexe quantenmechanische Interaktionen lernen – das ist der Antrieb hinter Adrians Forschung. Für ihn persönlich gibt es jedoch noch eine stärkere Motivation: „Dass es einfach Spaß macht!“ Die Proteinforschung, die beim Thema Quantensimulation immer schnell zur Sprache kommt, und deshalb auch kurz von Adrian genannt wird, spielt in seiner Arbeit keine wirkliche Rolle. Das für ihn viel relevantere Anwendungsfeld ist, dass die 2D-Materialien sehr sauber und defektarm und damit eine geeignete Plattform sind, um bestimmte Naturkonstanten extrem präzise auszumessen. Damit können die Definitionen dieser Konstanten verbessert werden. Genauer messen sei nicht nur für die Wissenschaft wichtig, sondern auch beispielsweise für die Halbleiterindustrie, die Chips in Nanometer-Größenordnungen fertigt. „Wenn man genauer messen kann, verbessert das die Welt insgesamt“, so die Einschätzung des Physikers. „Aber viel davon ist einfach pure Grundlagenforschung. Und die ist auch wichtig, auch wenn keine Anwendung dabei rausspringt“, meint er. Ihm gehe es um die Befriedigung intellektueller Neugierde: „Das ist auch einfach so, zum Selbstzweck, spannend!“
Die Physik spielt auch eine Rolle in Adrians liebstem Hobby, dem Turnen. „Es ist vielleicht ein Klischee, aber ein bisschen Physik ist schon involviert“, meint er. Es ginge beim Turnen eben auch viel um Mechanik. Mit fünf Jahren fing er den Sport an, als er mit seiner Familie gerade für einige Jahre in Texas lebte. Seitdem sei es eine Konstante in seinem Leben geblieben. Mittlerweile bleibt Adrian neben der Arbeit im Labor nicht mehr viel Zeit für das Training, aber ein paar Wettkämpfe im Jahr gehen sich trotzdem noch aus. Und das Turnen ist für ihn perfekt zum Abschalten. „Es ist ein Sport, der deine volle Konzentration verlangt. Dann vergisst man meistens seine Laborsorgen oder Alltagssorgen“, erzählt er. „Und es macht einfach Spaß, sich so in der Luft zu drehen.“
Wenn er nicht gerade durch die Luft wirbeln kann, tut es im Alltag für Adrian auch ein Spaziergang an der Isar, um den Kopf freizubekommen. Dass der Fluss nur wenige Gehminuten von seinem Arbeitsplatz entfernt ist, ist für den Physiker ein klarer Pluspunkt am Forschungscampus Garching. „Während der Fabrikation hilft es natürlich nicht viel, wenn man einfach rausgeht“, räumt er lachend ein. Die Probe müsse nun mal gebaut werden, auch wenn das manchmal heiße, nochmal von vorne anzufangen oder länger zu bleiben. „Aber wenn man über Physik nachdenkt, oder die Welt, dann hilft so ein Spaziergang an der Isar definitiv.“ Und auch wenn ihm das Exfolieren manchmal langwierig oder frustrierend erscheint, wenn im letzten Moment die Probe doch noch kaputt geht: „Meistens macht es Spaß, weil man fast ein bisschen meditiert.“ Und wenn dann noch eine besonders schöne Probe dabei raus kommt, ist der Frust schnell vergessen – „ein befriedigendes Gefühl.“
Veröffentlicht am 27. Juni 2025; Interview am 22. April 2025.