„Informatik ist wie eine Zwiebel, sie hat viele Schichten“

Optimale Computing-Methoden finden

Angetrieben von einer ausgeprägten Neugierde dafür, wie die Dinge im Allgemeinen funktionieren, liebt Jorge Echavarria es, die verschiedenen Ebenen der Informatik zu erforschen. In seiner Position am Leibniz-Rechenzentrum konnte er sich weiter in den Bereich des Quantencomputings vertiefen – ein Gebiet, das ihn seit jeher fasziniert.

Von Veronika Früh

Strahlend blauer Himmel erstreckt sich über dem Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) in Garching bei München. Trotz der Sonne ist es an diesem Vormittag im März noch eher kalt. Zu kalt, wenn man Jorge Echavarria fragt. Als der Wissenschaftler für ein Foto kurz aus dem Gebäude tritt, packt er sich erst einmal dick in Jacke, Schal und Mütze ein. Mit dem deutschen Winter hat sich der gebürtige Mexikaner in den zehn Jahren, die er jetzt hier lebt, noch immer nicht angefreundet. Nach seinem Masterabschluss in Informatik am Instituto Nacional de Astrofísica, Óptica y Electrónica in Mexiko folgte Jorge seinen akademischen Interessen und zog nach Erlangen, um an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) zu promovieren. Seit zwei Jahren ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am LRZ, wo er die ‚Quantum Integration Software‘-Gruppe leitet. Darüber hinaus ist er seit 2024 einer der technischen Leiter des Munich Quantum Software Stack (MQSS) des MQV.

„Wenn ich meine Forschung mit einem Label versehen müsste, würde ich sagen, mein Fokus liegt auf Mehrzieloptimierungsproblemen“, fasst Jorge seine Arbeit seit seinem Masterstudium über seinen Ph.D. bis heute mit einem Begriff – wenn auch einem langen – zusammen. Dabei geht es darum, mehrere Ziele in einem System gleichzeitig zu erreichen, mit der Schwierigkeit, dass diese Ziele häufig entgegengesetzt zueinander sind. „Vielleicht möchtest du die Geschwindigkeit deiner Berechnung erhöhen, aber weil du die Geschwindigkeit erhöhst, vergrößert sich auch dein Ressourcenverbrauch. Und umgekehrt“, erklärt es der Wissenschaftler etwas anschaulicher. „Was man erreichen möchte ist etwas, das man Pareto-Optimalität nennt. Das bedeutet, dass beide Ziele befriedigt werden, ohne dass Kompromisse einseitig bei einem der Ziele gemacht werden müssen.“ Es werde umso spannender, wenn es mehr als zwei Zielvorgaben gebe. Dann müsse man nämlich nicht nur die Lösung beurteilen, sondern auch die Methodologie zum Finden dieser Lösung.

In seiner täglichen Arbeit am LRZ bedeutet das, Methoden zu finden, mit denen Quantenschaltkreise ohne zu hohen Zeitaufwand kompiliert und auf der jeweiligen Quantenhardware im Rechenzentrum effizient ausgeführt werden können. Dabei müssen die Eigenschaften der Hardware und die Quantengatter, die auf dem jeweiligen System ausgeführt werden können, beachtet werden. „Das Problem ist, dass du möglicherweise hunderte oder tausende dieser Schaltkreise gleichzeitig ausführen möchtest. Also musst du das so schnell wie möglich lösen“, führt Jorge weiter aus. Manchmal könne man einfach einen Supercomputer darauf ansetzen – „aber es gibt nur so und so viele Supercomputer! Deswegen müssen wir uns clevere Lösungen überlegen.“

Auf die tiefste Ebene von Computing vordringen

Sich bis auf die tiefste Ebene mit Computing auseinanderzusetzen ist das, was Jorge so an der Informatik begeistert. Nach der Schule war er hin- und hergerissen zwischen Physik, Mathe – und eben Informatik, die ihn letztendlich überzeugte. „Ich finde das Gebiet ist wie eine Zwiebel. Es hat verschiedene Schichten“, meint er. Der Kern der Informatik-Zwiebel sei im Grunde Mathematik, um die sich, Schicht um Schicht, Logik und logische Statements aufbauen. „Und wenn du wieder eine neue Schicht erreichst, findest du wieder andere Dinge, die spannend sind“, führt der Wissenschaftler seine Metapher weiter aus. „Das ist, finde ich, das Schöne an der Informatik. Sie lässt dich so viele Dinge auf so vielen verschiedenen Ebenen machen.“

Apropos Zwiebel: Alternativ zu einem naturwissenschaftlichen Studium überlegte Jorge eine ganz andere Karriere einzuschlagen – und Koch zu werden. „Aber ich kann wirklich nicht so gut kochen“, erzählt er lachend. Auch seinen Kindheitstraum Pilot zu werden, verwarf er wieder. Wissenschaftler wurde er dann quasi von selbst. Nach der Schule zu studieren, das war einfach der nächste logische Schritt. Tatsächlich mit wissenschaftlicher Forschung – Literatur lesen und das Wissen in eigenen Projekten anwenden – kam er zum Ende seines Bachelorstudiums in Berührung. „In diesem Moment wusste ich, das ist definitiv das, was mir gefällt. Da wusste ich, ich möchte Wissenschaftler werden und Forschung betreiben“, erinnert er sich rund 15 Jahre zurück.

Jorge Echavarria, 38


Position

Wissenschaftlicher Mitarbeiter


Institut

Leibniz-Rechenzentrum (BAdW)
Q-DESSI


Studium

Informatik


Jorge entwickelt Methoden zur Lösung von Problemen im Bereich des Quantencomputings, mit denen mehrere Ziele in einem System gleichzeitig erreicht werden können. Er sucht nach effizienten und cleveren Lösungen für diese sogenannten mehrzieligen Optimierungsprobleme. 

Mehrzieloptimierungsprobleme lösen

Der rote Faden, der sich seit den Anfängen durch seine wissenschaftliche Karriere zieht, ist das Lösen von Mehrzieloptimierungsproblemen verschiedenster Art. In seiner Masterarbeit beispielsweise beschäftigte er sich mit dem Schutz von geistigem Eigentum beim Design von Schaltkreisen. Er entwickelte eine Technik, um auf dem tiefsten Abstraktionslevel des Schaltkreises eine Signatur des jeweiligen Autors einzufügen. „Dafür musste ich wieder ein mehrzieliges Optimierungsproblem lösen, das sich im Inneren abspielte“, erzählt der Wissenschaftler. „Es gab damals an der Polytechnischen Universität Valencia eine Gruppe, die an etwas arbeitete, das in etwa die Lösung meines Problems war“, führt er weiter aus. Diese arbeiteten mit sogenannten genetischen Algorithmen, eine Optimierungsmethode inspiriert vom Prozess der natürlichen Selektion in der Evolution. Jorges spezifisches Problem war dafür ein passender Anwendungsfall: „Ich kannte genetische Algorithmen bereits, wusste jedoch nicht genau, wie ich mein Problem mithilfe von Darstellungen, die von der natürlichen Evolution inspiriert sind, codieren sollte.“ Also besuchte er seine spanischen Kolleg:innen im Rahmen eines akademischen Aufenthaltes.

Sein Aufenthalt in Valencia machte ihm deutlich, dass er weit mehr erreichen kann, wenn er dort ist, wo sich der aktuellste Stand der Technik abspielt: „Heute erscheint das ziemlich offensichtlich, aber damals hat mir das wirklich die Augen geöffnet!“ Nach seinem Masterabschluss, zu diesem Zeitpunkt arbeitete Jorge bereits in einem Unternehmen im Bereich Forschung und Entwicklung, entschied er sich daher für die Promotion an der FAU. „Ich habe mir gedacht, ich muss dahin gehen, wo die wirkliche Entwicklung stattfindet.“ Auch damals arbeitete er, „mal wieder“, wie er sagt, an Mehrzieloptimierungsproblemen. „Ich wusste, das ist es, was ich tun will und dass ich herausfinden muss, wer das wirklich macht“, erzählt er.

Nach seiner Promotion war die Stelle am LRZ das, was am besten zu Jorges Interessen passte. „Eines der Dinge, die ich am meisten an meinem Job mag ist, dass man Lösungen vorschlagen kann, die man dann tatsächlich implementiert sieht“, erklärt er. Das war für ihn einer der Gründe, von der reinen Wissenschaft hin zu Forschung und Entwicklung zu wechseln: „Man hat eine Idee und dann sieht man, wie sie umgesetzt wird. Man erbringt nicht nur einen Service, sondern gestaltet diesen auch effizient. Oder man entdeckt eine Lösung für ein Problem, das noch nicht einmal identifiziert worden war.“

Neuausrichtung auf Quantencomputing

Mit seinem Wechsel ans LRZ wagte Jorge auch den Schritt in Richtung Quantencomputing. Quantenbezogene Themen hatten ihn schon immer interessiert. „Es ist einfach absolut verrückt! Die ganze Sache ist verrückt“, erklärt er seine Faszination. Für ihn geht es darum, im Kern zu verstehen, wie Dinge funktionieren. Es fing damit an, dass er darüber nachdachte, was eigentlich tatsächlich in den Leiterbahnen auf den Computerchips passiert, an denen er arbeitete. „Ich versuchte, mir das bildlich vorzustellen, wie mit Murmeln, und zu sehen, wie einzelne Elektronen im Kabel auf Wiederstand stoßen und sich das Kabel dadurch erwärmt“, holt Jorge zu einer Erklärung aus. Dann habe er versucht, die einzelnen Punkte zu verbinden, zu verstehen, was Temperatur ist – „einfach die Schwingungen, das macht Sinn“ – aber dann? Wie wird die Energie übertragen? So fing er an, Texte zur Quantenfeldtheorie zu lesen und war fasziniert. „Ich hatte das Glück, dass ich mit einer relativ kleinen Veränderung in meiner Karriere anfangen konnte, mich damit zu beschäftigen. Und auch dem Quantencomputing ein bisschen näher zu sein.“ 

Wenn Jorge ins Reden kommt, fließen seine Gedanken häufig von einem Thema zum nächsten, eine Sache erinnert ihn an die andere und es zeigt sich, wie vielseitig interessiert und begeisterungsfähig der Wissenschaftler ist. „Vor kurzem habe ich etwas gelesen…“, beginnt er, als er eigentlich gerade darüber spricht, was ihm dabei geholfen hat, einen Zugang zur Quantenmechanik zu finden, „ich wollte verstehen, wo Magnetismus herkommt.“ Einstein und die Relativitätstheorie seien Teil der Erklärung gewesen. „Ich verstehe nicht vollständig, warum das absolut Sinn ergibt, weil ich die Mathematik dahinter nicht ganz verstehe“, räumt er ein. Das intuitive Verständnis von Längenkontraktion und Ladungsungleichgewicht mache ihm jedoch keine Schwierigkeiten. Man müsse nicht jedes Detail verstehen, das dahintersteckt. Und so sei es auch im Quantencomputing, findet er kurz darauf –„Moment, warum erzähle ich das gerade?“ – den Bogen zurück zum Anfang. Und so wie er, der Informatiker, nicht jedes physikalische Detail verstehen könne und müsse, seien für seine Kolleg:innen aus der Physik manche der computerwissenschaftlichen Konzepte schwer zu greifen.

Es sind gerade diese unterschiedlichen Perspektiven, aus denen das gleiche Problem betrachtet wird, die Jorge spannend findet: „Manche Leute sind sehr gut darin, Probleme zu abstrahieren. Manche Leute können eine Antwort auf eine andere Art formulieren.“ So kommt es vor, dass jemand etwas erklärt und dafür eine bestimmte Art von Notation verwendet. Jemand weiteres übersetzt diese Notation in eine andere – und dann wird es plötzlich verständlich für Leute mit einem anderen Hintergrund. „Das liebe ich!“, bekräftigt der Wissenschaftler. Die verschiedenen Perspektiven sind auch etwas, das Jorge am Munich Quantum Valley sehr schätzt. Aber zurück zu seiner eigenen Perspektive, der des Informatikers. Wenn er sich eine Sache für das Quantencomputing wünschen dürfte, kann er das wieder mit einem einzelnen Ausdruck beantworten: „Standards!“

Veröffentlicht am 25. April 2025; Interview am 18. März 2025.