„Unsere Aufgabe ist es, viele Qubits gleichzeitig nutzbar zu machen“

Mit 3D-Integration supraleitender Quantenhardware den Weg zur industriellen Umsetzung ebnen

Komplexe Zusammenhänge verstehen und sich vertieft mit einem Thema auseinandersetzen – für Alexandra Schewski war schnell klar, dass sie auch nach ihrem Studium in der Forschung bleiben will. Am Fraunhofer EMFT entwickelt sie Prozesse, die die industrielle Herstellung supraleitender Quantenchips ermöglichen sollen.

Von Maria Poxleitner

Vor dem Fraunhofer-Haus in der Nähe des Heimeranplatzes in München flattern die Fahnen im Herbstwind. Es ist ein klarer Morgen und das große Logo, das ganz oben auf dem 17-stöckigen Gebäude prangt, ist schon von Weitem sichtbar. Alexandra Schewski passiert die großzügige, moderne Lobby, durchquert den Innenhof und betritt das Fraunhofer EMFT – das Institut für Elektronische Mikrosysteme und Festkörper-Technologien.

Hier forscht die junge Doktorandin. Sie ist Teil einer Arbeitsgruppe, die die Integration supraleitender Hardware für Quantencomputer vorantreibt. Integration meint hier das Zusammenschalten sehr vieler Einzelkomponenten auf einem Chip zu einer funktionierenden Einheit. „Dahinter steckt natürlich ganz viel Engineering“, erklärt die 27-jährige Physikerin. Die Universitäten hätten bei der Fabrikation von Qubits viel Vorarbeit geleistet und Grundlagenforschung betrieben. „Unsere Aufgabe ist es jetzt, kontrolliert eine große Zahl von Qubits herzustellen und auch gleichzeitig benutzen zu können.“ Eine Schwierigkeit, die sich dabei ergibt: „Je mehr Qubits sich auf einem Chip befinden, desto schwieriger wird es, auch sämtliche elektrische Leitungen zu den Qubits hinzuführen, da andere Qubits und deren Zuleitungen dann im Weg sind.“ Um dieses Routing-Problem zu lösen, müsse man die Zuleitungen zu den Qubits in eine andere Ebene legen, führt Alexandra weiter aus. Hier spricht man von 3D-Integration, eine Methode, die man auch in der klassischen Chiptechnologie anwendet, um kompaktere und leistungsstärkere Geräte zu erhalten. Dabei werden mehrere Teilchips übereinandergelegt und die einzelnen elektronischen Komponenten nicht nur horizontal, sondern auch vertikal miteinander verbunden. Dafür seien sogenannte Through-Silicon-Vias – kurz TSVs – ideal, erklärt Alexandra: „Ganz einfach gesagt, sind das leitende Verbindungen von der Oberseite zur Unterseite des Chips durch den Chip durch, also durch das Silizium-Substrat durch.“

Klassische Chiptechnologie für Quantenhardware adaptieren

Genau auf diesen TSVs liegt der Fokus von Alexandras Promotionsprojekt. Sie entwickelt TSVs, die mit supraleitenden Qubits kompatibel sind. Auf klassische TSV-Technologie kann die Doktorandin hier kaum zurückgreifen: „Damit die TSVs Qubit-kompatibel sind, müssen sie selbst supraleitend sein.“ Außerdem müssten sie einen niedrigen Mikrowellenverlust aufweisen, also vom Design her so aussehen, dass Mikrowellen – mit denen die Qubits angesteuert werden – sozusagen ungehindert hindurchfließen können, zählt die Physikerin weiter auf. „Und dann hat man noch sehr hohe Anforderungen an das Material selbst, also man braucht ein Material mit einer geringen Defektdichte.“ Schon kleinste Verunreinigungen im Material können dazu führen, dass die empfindlichen Qubits auf dem Chip gestört werden und Quanteninformation verloren geht. Das ist auch der Grund, warum die junge Forscherin einen großen Teil ihrer Arbeitszeit im Reinraum verbringt. Vermummt von Kopf bis Fuß betritt Alexandra die Räumlichkeiten, in denen Filteranlagen dafür sorgen, dass die Luft möglichst frei bleibt von störenden Partikeln. Die braunen Locken sind unter der Kappe des hellblauen Overalls verschwunden, Mundschutz, Schuhüberzieher und Handschuhe sind auch angezogen. Lediglich die Augenpartie bleibt frei.

Alexandra Schewski, 27


Position

Doktorandin


Institut

Fraunhofer-Institut für Elektronische Mikrosysteme und Festkörper-Technologien (EMFT)
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Studium

Physik


Alexandra entwickelt sogenannte Through-Silicon-Vias, die mit supraleitenden Qubits kompatibel sind. Dabei handelt es sich um supraleitende Verbindungen von der Oberseite zur Unterseite eines Chips. Sie werden benötigt, um mittels 3D-Integration möglichst viele Qubits auf einem Prozessor unterzubringen.

Alexandra an der Anlage, mit der sie Wafer bearbeitet und für deren Wartung sie zuständig ist. In den drei vorderen Kammern werden verschiedene Materialien auf den Wafer aufgebracht. Mit der hinteren Kammer können feine Strukturen in die Metallschicht auf der Waferoberfläche geätzt werden.

In einem Regal in der hinteren Ecke des Reinraums befinden sich blaue und schwarze Kunststoffboxen. Alexandra stellt eine davon auf den Tisch und öffnet den Deckel. Wie in einem CD-Fach sind mehrere Wafer – Siliziumscheiben von 20 cm Durchmesser und weniger als einen Millimeter dünn – nebeneinander in Schlitze gesteckt. Mit einer Vakuum-Waferpinzette, einer Art flachem Saugstab, greift die Forscherin eine der hauchdünnen Scheiben und nimmt sie behutsam aus der Box heraus. Die polierte Vorderseite des Wafers ist mit einem glänzenden Metall beschichtet, das für die Herstellung der Qubit-Strukturen verwendet wird. „Die Wafer bearbeite ich mit der P5000.“ Die Physikerin deutet auf eine kleine Tür an der Wand, sozusagen das Eingangstor in die „P5000“, wie Alexandra die Maschine nennt, an der sie hauptsächlich arbeitet. Der Großteil der Maschine befindet sich allerdings nicht im Reinraum, sondern auf der anderen Seite der Wand, im angrenzenden Grauraum: „Die Wafer kommen nur im Reinraum an die Luft. Die Geräte können wir aber auch vom Grauraum aus bedienen.“ Dort dürfe man sich auch ohne Reinraumanzug aufhalten, erklärt Alexandra und sie scheint ganz froh zu sein, nicht durchgehend in voller Montur arbeiten zu müssen.

Alexandra bewegt sich sicher und zügig durch die Räumlichkeiten. Die Zeit will sie möglichst effizient nutzen, getrödelt wird nicht. Im hinteren Teil des Grauraums angekommen, sieht man die P5000 in ihrer Gänze. Die Anlage besteht aus vier „Kammern“, wie Alexandra es nennt. Drei davon erinnern optisch ein bisschen an ein Waffeleisen. In diesen würden verschiedene Materialien auf den Wafer aufgebracht, erklärt die Doktorandin. Im Deckel der drei „Waffeleisen“ befindet sich der sogenannte Shower Head, den Boden bildet ein Suszeptor, mit dem der Wafer erhitzt wird. „Mit dem Shower Head, der ganz viele kleine Löcher hat, wird das jeweilige Material homogen auf dem Wafer verteilt. Hitze ist nötig, damit der chemische Prozess stattfinden kann, bei dem sich das Material auf dem Wafer abscheidet, also sozusagen ablagert“ erklärt die Physikerin. Eine vierte Kammer, die etwas anders aussieht, kann genutzt werden, um Strukturen in die Metallschicht zu ätzen. Die junge Forscherin ist bestens vertraut mit der Maschine. Jeder Handgriff sitzt. Alexandra geht zum Bedienpanel und bringt eine der Kammern in die Wafer-Lift-Position. Der Suszeptor fährt nach unten und vier Stifte ragen heraus. Ein Roboterarm mit flachem Ende kann dann, ähnlich wie ein Pfannenwender, unter den Wafer fahren, diesen leicht anheben und ihn von Kammer zu Kammer fahren. Alexandra ergänzt: „Während ich einen Wafer in der Maschine bearbeite, bleibt sie zu. Ich kann hier alles von außen steuern.“

Vom fachlichen Austausch unter Doktorand:innen profitieren

Um TSVs herzustellen werden zunächst zylindrische Löcher durch das Silizium-Substrat geätzt. Damit daraus eine supraleitende Verbindung von der Oberseite zur Unterseite des Chips wird, muss Alexandra auf die Innenwand des Loches einen metallischen Film aufbringen. In der geeigneten Metallisierung dieser zylindrischen Löcher liegt der Fokus ihrer Arbeit: „Diese Metallschicht ist sehr, sehr dünn. Es ist sehr anspruchsvoll, sie überall hinzubekommen, weil dieses Loch eine kleine Öffnung und eine große Tiefe hat." Außerdem sei es sehr schwer, die Eigenschaften des Metallfilms zu beeinflussen, weil beispielsweise die Gasdynamik in dem Loch eine ganz andere sei als auf der Oberfläche des Chips, was das Wachstum des Metallfilms extrem beeinflusse. Eine der ersten Herausforderungen in ihrer Promotion sei es gewesen, die metallische Schicht so hinzubekommen, dass sie supraleitend wird. Das habe erstmal eine Zeit lang nicht geklappt, erinnert sich Alexandra, aber der fachliche Austausch während der Benasque Spring School im Frühjahr 2023 habe ihr schließlich weitergeholfen. Hier konnte sie sich ein paar Tipps und Tricks holen. Die Veranstaltung in dem kleinen, abgelegenen Bergdorf Benasque in den Pyrenäen, bei der Doktorand:innen und Postdocs aus vielen verschiedenen Ländern teilgenommen hätten, habe zehn Tage lang gedauert, erzählt die junge Forscherin. Dabei drehte sich alles um supraleitende Qubits. Da sie erst mit ihrer Promotion in das Quantencomputing-Thema eingestiegen ist, schätze Alexandra die Möglichkeit sehr, sich im Rahmen der Spring School nochmal vertieft grundlegenden Fragen der Fabrikation supraleitender Qubits und der Physik dahinter zu widmen. Vor allem der intensive Austausch mit anderen Doktorand:innen, die alle an supraleitenden Qubits arbeiten, habe ihr fachlich enorm weitergeholfen. „Es war auf jeden Fall ein Highlight innerhalb des ersten Jahrs meiner Promotion.“

Beschreibt Alexandra ihr „Daily Business“, spricht sie von Prozessentwicklung: „Ich möchte herausfinden, welche Prozessparameter mein Ergebnis beeinflussen.“ Der metallische Film für ihre TSVs müsse bestimmte Eigenschaften besitzen, und sie variiere nun Prozessparameter wie zum Beispiel Druck oder Temperatur, um zu sehen, wie sich das auf das Ergebnis auswirkt. Zwar liegt Alexandras Fokus auf der Prozessentwicklung für die Herstellung supraleitender TSVs, aber man müsse immer auch die Gesamtprozessentwicklung im Blick haben: „Die einzelnen Prozesse, die durchlaufen werden, um einen supraleitenden Chip herzustellen, müssen alle miteinander kompatibel sein und das ist eine riesige Herausforderung.“ Die kritischste Struktur sei die Josephson Junction, betont Alexandra – ein elektronisches Element, ein paar 100 Nanometer groß, das in gewisser Weise das Herzstück eines supraleitenden Qubits bildet. Ätze man nun beispielsweise zuerst die Qubit-Strukturen und erst im Nachhinein die Löcher für die TSVs, so sei nicht gewährleistet, dass die Ätzung der Löcher die Josephson Junctions nicht wieder verändere, führt die Forscherin aus. Bei den verschiedenen Möglichkeiten, die Reihenfolge von Einzelprozesse anzuordnen, müsse man immer bedenken, was dabei mit den verschiedenen Elementen auf dem Chip passiere.

Staubsaugen muss auch mal sein

Nach ihrem Physikstudium in Erlangen entschied sich Alexandra bewusst für eine Promotion: „Zusammenhänge verstehen und sich vertieft mit einem Thema beschäftigen, das macht mir sehr viel Spaß.“ Nicht immer besteht der Arbeitsalltag jedoch aus Knobeln und dem Durchdenken komplexer Zusammenhänge. Um Wartungsarbeit komme man bei der Prozessentwicklung nicht herum, meint die Doktorandin. Vor Kurzem musste sie die P5000 von innen sauber machen, da sich bei einem Prozess Materialfussel abgelöst und überall im Innenraum verteilt hätten. Dafür nutze sie zunächst einen speziellen Reinraumstaubsauger. Alexandra lacht: „Der Staubsauger ist krass.“ Anschließend habe sie noch jeden Winkel der Maschine mit speziellen Tüchern auswischen müssen. „Das war schon sehr aufwendig.“ Manchmal treten aber auch Wartungsprobleme auf, die weniger offensichtlich sind als eine verunreinigte Maschine und ein gewisses Level an Kreativität erfordern. „Ich habe dann immer viele Ideen und probiere alles nacheinander aus, bis wieder alles funktioniert. Ich hoffe ich bin nie in der Situation, dass ich nicht mehr weiß, was ich ausprobieren soll“, meint die junge Forscherin lachend.

Doch selbst wenn – für diesen Fall kann Alexandra auf den Austausch mit ihren Kolleg:innen zählen, die sie sehr schätzt. Sie schätzt sie sogar so sehr, dass sie gewillt ist, sich einmal in der Woche um sieben Uhr morgens mit ihnen vor der Arbeit an der Boulder-Halle zu treffen. Sie schmunzelt: „Ich würde mich jetzt nicht als den typischen Frühaufsteher bezeichnen, aber ich mache das sehr gerne und wenn man verabredet ist…“. Neben dem engen Austausch mit ihren Kolleg:innen empfindet sie auch die Einbindung in die größere MQV-Community als eine Bereicherung: „Als Einzelperson verliert man das große Ganze manchmal ziemlich schnell aus den Augen. Was ich schön finde ist, dass wir im MQV so viele Projektpartner haben, die einen sehr großen Bereich im Quantencomputing abdecken.“ So lassen sich im Austausch mit anderen Forschungsgruppen auch kleine Zwischenziele, die man in seiner Forschung erreicht, in einen großen Zusammenhang einordnen. 

 

Veröffentlicht am 28. Februar 2024; Interview am 23. Oktober 2023