„Wir können die Atome in fast jederlei Hinsicht kontrollieren“

Mit ultrakalten Atomen fundamentalen Quantenprozessen auf der Spur

Sich bei den vielen spannenden Gebieten, die die Physik zu bieten hat, auf eine Richtung festzulegen, ist David Gröters nicht leichtgefallen. Schließlich hat das Feld der ultrakalten Atome in optischen Gittern sein Herz erobert. Im Rahmen seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Quantenoptik nutzt er die gefangenen Atome, um fundamentale Prozesse in Quantenvielteilchensystemen zu erforschen.

Von Maria Poxleitner

„Is it safe?“, ruft David Gröters laut. Der 26-jährige Physiker steht direkt hinter der Labortüre, in einem kleinen Bereich, der durch dicke schwarze Vorhänge vom Rest des Labors abgetrennt ist, und möchte von seinen Kolleg:innen erfahren, ob er ohne Laserschutzbrille eintreten kann. Wird am Experiment gerade Hand angelegt, muss die schwarze Verkleidung geöffnet werden, die die riesigen optischen Aufbauten, die sich über zwei große Tische erstrecken, normalerweise abschirmt. Da sich ein Laserstrahl auch mal verirren kann und im Labor auch Laser mit einer Leistung von bis zu 10 Watt – zehntausend Mal mehr als bei einem Laserpointer – im Einsatz sind, sind diese Sicherheitsvorkehrungen unabdingbar. Gerade sind die anderen am Werkeln. David zieht seine Laserbrille über und geht zum hinteren der beiden Tische, zum sogenannten Lasertisch, an dem er aktuell arbeitet. Über mehrere Quadratmeter sind Linsen, Spiegel und andere Optiken dicht an dicht nebeneinander platziert und Glasfaserkabel führen in Bündeln nach oben in Richtung Decke. Das Setup auf dem Lasertisch sei sehr komplex, aber dennoch sei das hier eigentlich nur der Nebenschauplatz, erklärt der Doktorand: „Dieser Tisch ist nur dafür da, das Laserlicht zum richtigen Zeitpunkt, in der richtigen Menge, mit der richtigen Polarisation, intensitäts- und frequenzstabilisiert auf den Haupttisch zu bringen.“ Also zum Herzstück des Experiments – dahin, wo die Atome sitzen.

Ein Zehnmilliardstel Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt

 „Wir haben eine kleine Vakuumkammer, worin sich ein sehr dünnes Gas aus Rubidium-Atomen befindet“, beginnt David, der vor etwas mehr als einem halben Jahr mit seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) begonnen hat, die Hauptmerkmale des komplexen Aufbaus zu beschreiben. Durch das Anlegen verschiedener Magnetfelder und indem sie mit dutzenden verschiedenen Laserstrahlen auf die Atome schießen, könnten sie diese kontrollieren, fährt der junge Physiker fort. Ein Teil der Laser werde benötigt, um die Atome zu kühlen – auf nur ein Zehnmilliardstel Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt. „Das muss man sich wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen. Das ist um Größenordnungen kälter als das Weltall!“ Die ultrakalten Temperaturen seien nötig, um Quantenphysik beobachten und die Atome fangen zu können. Für das Fangen der Atome kommen weitere Laser zum Einsatz. Letztlich erzeuge man ein sogenanntes optisches Gitter, also ein Gitter aus Licht, in dem die kalten Atome in einer zweidimensionalen Schicht angeordnet werden, erklärt David. „Indem man die Laser auf sich selbst zurückreflektieren lässt, entsteht eine optische stehende Welle“, führt er den Begriff des optischen Gitters weiter aus. Aufgrund bestimmter Wechselwirkungen zwischen Atom und Lichtfeld, würden die Atome schließlich in die Bäuche der stehenden Welle gezogen. Das Potenzial, also sozusagen die Energielandschaft, in der sich die Atome befinden, könne man sich wie einen Eierkarton vorstellen, macht der Doktorand den Sachverhalt anschaulich: „An jeder Position, wo ein Ei liegen kann, da liegen unsere Atome drin.“ Das Tolle sei: Ob beziehungsweise wie die Atome sich im optischen Gitter bewegen, wie sie miteinander kollidieren oder interagieren, läge ganz in den Händen der Experimentator:innen: „Wir bestimmen im Prinzip vollständig die Spielregeln.“ 

Ultrakalte Atome in optischen Gittern seien deshalb eine wunderbar vielfältige Plattform, mit der ganz unterschiedliche physikalische Fragestellungen und Theorien erforscht werden könnten, schwärmt der Physiker. Welcher Fragestellung sich David im Rahmen seines Ph.D.-Projekts genauer widmen wird, steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest. In seinem Labor geht es aber in jedem Fall um Grundlagenforschung zu Quantenvielteilchensystemen: „Das heißt, wir wollen die fundamentalen Prozesse verstehen, die sich abspielen, wenn viele kleinste Teilchen auf Quantenebene miteinander interagieren.“

Porträtbild von David Gröters

David Gröters, 26


Position

MQV-Promotionsstipendiat


Institut

Max-Planck-Institut für Quantenoptik – Abteilung für Quantenvielteilchensysteme


Studium

Physik


David nutzt ultrakalte Atome, die in stehenden Wellen aus Licht gefangen werden, um fundamentale Prozesse zu erforschen, die sich abspielen, wenn viele Quantenteilchen miteinander interagieren. Dabei können er und seine Kolleg:innen genau kontrollieren, ob bzw. wie sich die Atome innerhalb ihres „Lichtkäfigs“ bewegen und miteinander wechselwirken können.

Der Physiker trägt eine Laserbrille und betrachtet, mit einer Taschenlampe ausgestattet, den experimentellen Aufbau. Zahlreiche Optiken und Kabel türmen sich auf mehreren Ebenen.
David wirft einen Blick auf den Haupttisch des Experiments. Zwischen den vielen Optiken und Kabeln befindet sich die Vakuumkammer mit den Atomen.

Zwischen Linsen und Lasern

Die Vakuumkammer mit den Atomen befindet sich zwischen tonnenweise Optiken und Kabeln, die sich auf dem Haupttisch in mehreren Ebenen türmen. „Der Haupttisch ist wirklich sehr, sehr voll!“, meint David lachend und blickt mit Begeisterung auf das – für Außenstehende vermeintliche –  Wirrwarr. Es sei beeindruckend, findet David, wie Generationen von Doktorand:innen das Experiment über die Jahre aufgebaut und immer wieder weitere Elemente hinzugefügt und Upgrades vorgenommen hätten. Es ist eines der älteren Experimente am MPQ.

Ganz anders bei seiner Masterarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Dort war er in einem Labor, das sich noch im Aufbau befand. „Das war eine sehr technische Arbeit. Ich habe unsere Quantengasmikroskope charakterisiert.“ Diese Quantengasmikroskope spielen bei Experimenten mit kalten Atomen eine zentrale Rolle, auch in Davids aktuellem Labor am MPQ. „Um die einzelnen Atome auf ihren Gitterplätzen sehen zu können, brauchen wir im Prinzip ein sehr gut funktionierendes Mikroskop“, erklärt der Physiker. Die Objektive seien komplexe Maßanfertigungen, sehr teuer und würden in der Regel bei hochspezialisierten Firmen bestellt. Zunächst müsse ein Labor also sehr gründlich prüfen, ob das gelieferte Objektiv alle spezifizierten Richtwerte erreiche. Vor dieser Aufgabe standen auch schon andere, doch in Davids Masterarbeit ging es auch darum, im Detail und systematisch zu protokollieren, welche Schritte durchzuführen und welche Methoden besonders geeignet sind. Das habe zu einem um die 80-Seiten langen Appendix mit ganz vielen Bildern und Beschreibungen geführt, erzählt der Doktorand und muss etwas lachen. „Wenn ich diesen Abbildungsfehler eliminieren möchte, dann habe ich diese Linse zu bewegen, möchte ich jenen Abbildungsfehler eliminieren, dann muss ich das Objektiv drehen“, nennt er ein Beispiel, um die Sache anschaulicher zu machen. Letztlich wurde die Arbeit mit dem MCQST Master’s Award ausgezeichnet. Mehr noch als die Auszeichnung habe ihn aber gefreut, von Kolleg:innen zu hören, die seine Arbeit tatsächlich als Referenz herangezogen hätten.

Dass er Physik studieren will, war für David zum Ende seiner Schulzeit, die er in Gröbenzell nordwestlich von München verbrachte, eine klare Sache. Die Entscheidung, worauf er sich im Master spezialisieren soll, fiel ihm hingegen nicht so leicht: „Ich habe meinen Master an der LMU freiwillig um ein Jahr verlängert, weil ich mehr Vorlesungen hören wollte.“ Am Ende waren es die Vorlesungen über Quantenoptik und ultrakalte Quantengase, die ihn besonders beeindruckten – nicht nur aus physikalischer Sicht, sondern auch von der Art und Weise, wie die Inhalte vermittelt wurden: „Ich hatte das Gefühl, dass es den Leuten wirklich wichtig war, gute Lehre zu machen.“ Es gebe super viele spannende Felder in der Physik und es sei ihm nicht leichtgefallen, sich da festzulegen, aber am Ende käme es eben auch darauf an, wer dir die Dinge besser nahebringen könne. Dieses Semester ist David als Tutor selbst auf Seiten der Lehrenden: „Ich möchte den Studierenden nicht nur das Fachwissen, sondern auch die Begeisterung für diese Themen vermitteln.“

Vielleicht überträgt sich die Begeisterung auch ganz von selbst. „In der Quantenphysik gibt es viele Zusammenhänge, die wir aus unserer alltäglichen Welt nicht kennen. Aber für uns sind sie im Experiment jeden Tag greifbar!“, schwärmt David. Formeln, die ein Physikstudierender in seinem Bachelor lerne, würden von den Forschenden am MPQ jeden Tag angewandt. Dazu kommt der technische Aspekt, der ihn nach wie vor fasziniert: „Dass wir die Atome in fast jederlei Hinsicht kontrollieren können, ist wirklich beeindruckend.“

Kontrolliert Unordnung schaffen

Dieses hohe Maß an Kontrolle lässt sich auch dafür einsetzen, ganz gezielt Unordnung zu schaffen. Die Physik sogenannter ungeordneter Systeme ließe sich mit Hilfe von kalten Atomen in optischen Gittern besonders gut studieren, erklärt David.  Auch mit dem Aufbau in seinem Labor am MPQ sind Experimente aus dem Bereich der Unordnungsphysik möglich. Ein Gebiet, das den jungen Physiker besonders interessiert. Um das Verhalten ungeordneter Systeme zu erforschen, werden die Atome nicht mehr in einer gleichmäßigen „Eierkarton-Landschaft“ platziert. Vielmehr befinden sich die Atome dann in einer Art wilder Hügellandschaft. Auch diese lässt sich mit dem vorhandenen Setup in Davids Labor präzise einstellen: „Wir können unterschiedlich hohe Hügel erzeugen. Darüber haben wir eine sehr gute Kontrolle.“ Eigentlich sei es ein bisschen so wie bei sich zu Hause, meint David lachend, bei dem spontanen Versuch, das abstrakte Thema zu motivieren: „Wenn es unordentlich ist, dann geht alles langsamer voran. Das ist in den Quantensystemen auch so – also einfach gesprochen.“ In einem geordneten System hätten Teilchen „das Bedürfnis“ sich zu bewegen, miteinander zu interagieren, ihr Umfeld zu erforschen. Letztlich wollen sich die Teilchen gleichmäßig verteilen – so wie sich auch Milch im Kaffee gleichmäßig verteilt. „Wenn es unordentlich ist, dann passiert das nicht mehr“, fährt der Doktorand fort. Die Teilchen blieben sozusagen stecken. Wichtig sei, dass das kein klassischer Effekt sei, betont David: „Es ist nicht so, dass die Teilchen zu wenig Energie hätten, um sich zu bewegen. Grund für diese Lokalisierung, wie wir das nennen, ist ein quantenmechanischer Interferenzeffekt.“ Die Wellenfunktion, die das Atom beschreibt, breite sich zwar aus. Aufgrund der Unordnung, die das Atom umgibt, interferiere dessen Wellenfunktion aber überall destruktiv. Vor allem das Verhalten vieler miteinander interagierender Teilchen in solch einem ungeordneten Hintergrund sei noch eine ungelöste Forschungsfrage: „Man weiß nicht, in welchem Maße die Lokalisation für interagierende Teilchen stattfindet und wie robust sie ist.“ 

Mit ungeordneten Systemen und den Effekten der Lokalisierung befasste sich David zum ersten Mal in Cambridge. Die bekannte englische Universitätsstadt war nach dem Master an der LMU Davids nächste Station. Mit dem Forschungsaufenthalt wollte sich der junge Physiker Klarheit darüber verschaffen ob, und falls ja, an welcher Art von Experiment er promovieren möchte. An der LMU habe er viel darüber gelernt, wie es ist, in einem Labor zu arbeiten, das sich im Aufbau befindet, meint David. Aber ihm habe die Erfahrung gefehlt, wie es ist, an einem bereits länger existierenden Experiment zu arbeiten. „Ich wollte gerne ins Ausland und zwar in ein Labor, das läuft“, fasst David seine Motivation für das Jahr in Cambridge zusammen, das – ohne dass das die ursprüngliche Absicht gewesen wäre – auch zu einem zweiten Masterabschluss führte.

„Man hat das Gefühl, die ganze Stadt ist eine Uni“

Das Jahr in Cambridge brachte die erhoffte Klarheit. Zwar habe man bei einem neuen Experiment von Anfang an einen Überblick, während es bei einem älteren Experiment manchmal etwas mysteriös sei, wie und warum die Dinge funktionieren – „oder auch nicht“, meint David lachend. Dass man dafür aber näher an der Physik sei, war für ihn schließlich der ausschlaggebende Faktor, an einem weiter fortgeschrittenen Setup promovieren zu wollen. Aber auch abseits der fachlichen Aspekte war die Zeit in Cambridge für David sehr bereichernd. Die Atmosphäre in der Stadt und das Gefühl der Zusammengehörigkeit hätten ihn besonders beeindruckt: „Man hat das Gefühl, die ganze Stadt ist eine Uni.“ Auch das College-System verstärke dieses Gemeinschaftsgefühl. Dadurch sei man mit den unterschiedlichsten Leuten beisammen, sei es im Speisesaal oder bei den außeruniversitären Aktivitäten. 

Davids Freizeit bestimmte in Cambridge – neben seinem liebsten Hobby, dem Schlagzeugspielen – vor allem das Standard- und Lateintanzen. Zunächst nahm er dabei nur an den „lockeren Übungsstunden“, wie er es beschreibt, teil. So, wie er es bereits in München praktiziert hatte. Doch dann hätten ihn andere aus den Übungsstunden überzeugt, dem Tanzsportteam der Uni beizutreten, mit dem es dann auch auf zahlreiche Wettkämpfe ging. Choreografien einzustudieren und diese dann auch vortanzen zu können, sei eine coole Erfahrung gewesen, findet David. Am meisten im Gedächtnis geblieben ist ihm das englandweite Turnier in Blackpool, bei dem alle englischen Unis gegeneinander antreten: „In diesem wunderschönen großen Saal vor so vielen Leuten unsere Choreo tanzen zu können – das war schon sehr surreal.“ Ein Erlebnis, das ihm gezeigt habe, dass er das gerne wieder machen würde. Auch in München ist er mittlerweile in einer Tanzschule, die Turniertanz anbietet.

Noch in England bewarb sich David sowohl für ein Promotionsstipendium des Munich Quantum Valley als auch für ein Promotionsstipendium für Cambridge. Letztlich bekam er für beides eine Zusage. „Die Entscheidung ist mit wirklich sehr, sehr schwergefallen“, erzählt der Doktorand. Es gebe so viele Aspekte, die man dabei gegeneinander abwägen könne, das Fachliche, aber auch das Umfeld, Freunde, wie sehr magst du die Stadt. „Ich hatte auch erst ein großes Excel-Spreadsheet erstellt, um das irgendwie auszubaldowern“, sagt David und lacht. Das habe er dann aber doch verworfen und seine Entscheidungskriterien schließlich reduziert, auf die Physik, die er machen will und die Möglichkeiten, die das Labor bietet. „Und so sehr ich Cambridge auch mochte – von den Möglichkeiten, die man hier hat, die Vielfalt der Labore, die es hier gibt, und auch die Vernetzung. Ich glaube, es ist einfach eine einmalige Chance hier seinen Doktor zu machen.“

In seinem Labor am MPQ starten die Doktorand:innen üblicherweise mit einem technischen Beitrag zum experimentellen Aufbau. Das helfe auch dabei, das Experiment besser kennenzulernen, meint David. Danach kämen die physikalischen Projekte. Wiederum eine Entscheidung, die dem jungen Physiker nicht ganz leichtfallen dürfte, denn neben den Arbeiten zu ungeordneten Systemen gibt es in seinem Labor auch viele andere spannende Projekte, die ihn interessieren. Doch egal mit welcher physikalischen Fragestellung sich David in seinem Ph.D.-Projekt am Ende auseinandersetzen wird, die Begeisterung, die die Forschungsarbeit mit ultrakalten Atomen stets in ihm hervorruft, wird er nicht aufgeben müssen: „Dass es möglich ist, in unserem Experiment wirklich die einzelnen Atome zu sehen, wie sie in einer stehenden Welle aus Licht sitzen, das ist immer noch wahnsinnig faszinierend für mich. Ich weiß nicht, ob das irgendwann mal Alltag werden wird – ich hoffe fast nicht!“
 

Veröffentlicht am 30. Mai 2025; Interview am 24. April 2025.