An etwas zu forschen, bei dem die konkrete Anwendung absehbar ist, war für Karl Briegel bereits während seiner Doktorarbeit eine große Motivation. In seiner Arbeit im Gründerteam des Start-ups QTAS ist das nun nochmal mehr der Fall. Zusammen mit seinen Teamkollegen baut er auf der Quantensensor-Technologie aus seiner Promotion auf, um ein neues Blutanalysegerät für eine schnellere Beurteilung von Krebstherapien zu entwickeln.
Von Maria Poxleitner
Es ist kurz vor Weihnachten 2023. Karl Briegel steht in seinem Labor im Chemiegebäude der Technischen Universität München (TUM). Er hat soeben – wie schon so oft – eine der vielen Komponenten ausgetauscht, die zusammen den komplexen Aufbau ergeben, mit dem er und seine Kolleg:innen aus der Quantensensorik-Gruppe die Funktionsweise eines optischen Kernspinresonanz(NMR)-Mikroskops demonstrieren wollen. Nun wandert sein Blick zum Bildschirm. Und plötzlich ist ein Signal da. Zum ersten Mal nach mehreren Jahren Arbeit sind NMR-Spektren erkennbar.
„Ein echter Heureka-Moment“, meint Karl und lacht laut und herzlich als er sich an den Augenblick zurückerinnert, in dem ihm klar wurde, dass nun das Ziel erreicht ist. Der Moment sei eine große Erleichterung gewesen, erzählt der heute 29-Jährige und schiebt lachend hinterher: „Und die erste Frage, die aufkommt ist ‚Muss ich jetzt über Weihnachten durchmessen?‘.“ Letztlich hätten sie sich in Schichten aufgeteilt, um – trotz Feiertagen – möglichst schnell handfeste Daten zu generieren.
Mittlerweile ist der junge Chemiker so gut wie fertig mit seiner Doktorarbeit. Der Großteil seiner Zeit konzentriere sich nun mehr und mehr auf QTAS, das Start-up, das er zusammen mit Robin Allert und Nick von Grafenstein gegründet hat. QTAS steht für Quantum Total Analysis Systems. Der Begriff „Total Analysis System“ bezeichne integrierte Sensorlösungen, die ein Messproblem von Anfang bis Ende lösen, erklärt Karl. „Unser Produkt soll das auch. Du packst eine Blutprobe rein und bekommst das fertige Ergebnis.“ Es geht um ein neues Blutanalysegerät. „Wir wollen Ärztinnen und Ärzten helfen zu beurteilen, ob eine angewandte Krebstherapie bei einer Patientin oder einem Patienten tatsächlich anschlägt.“ Während Methoden, die aktuell in Kliniken in der Regel eingesetzt werden, um Therapien zu überwachen, erst nach mehreren Monaten Ergebnisse erkennen lassen, soll die neue Technologie von QTAS die Überwachungsintervalle auf eine Woche verkürzen, wodurch Therapien schneller angepasst und Behandlungsergebnisse verbessert werden könnten.
Das Blutanalysegerät baut auf der Technologie auf, an der Karl im Rahmen seiner Promotion gearbeitet hat. Seiner Forschungsgruppe an der TUM ist es gelungen, Kernspinresonanz-Signale (engl.: Nuclear Magnetic Resonance – NMR) mit optischer Mikroskopie sichtbar zu machen und hat somit das erste optische NMR-Mikroskop entwickelt. NMR-Methoden allgemein basieren darauf, dass der Kernspin eines Atoms in einem Magnetfeld präzediert, also eine charakteristische rotierende Bewegung beschreibt und somit – aufgrund der magnetischen Eigenschaften des Spins – ein oszillierendes Signal, das sogenannte NMR-Signal erzeugt. Die Frequenz, mit der der Kernspin präzediert, wird dabei auch von der unmittelbaren Umgebung des Atomkerns beeinflusst und ist somit charakteristisch für verschiedene Stoffe, weshalb sich aus dem NMR-Signal auf die Zusammensetzung einer Probe rückschließen lässt. Die Magnetresonanztomographie (MRT), wie sie in Kliniken zum Einsatz kommt, nutzt das für die medizinische Bildgebung. Dort seien es meist Wasserstoffatome, deren Kernspin für das MRT-Bild verantwortlich sei, erklärt Karl: „Wasser ist eines von den Molekülen, die ein extrem starkes Signal abgeben, vor allem weil sehr viel davon da ist. Man kann im MRT beobachten, wo im Körper ist wie viel Wasser und kann darüber Rückschlüsse ziehen, wo beispielsweise ein Knochen, wo ein Knorpel oder wo eine Ader ist.“
Position
Mitgründer des Start-ups QTAS
Studium
Chemie
Im Start-up QTAS entwickeln Karl und sein Team ein neues Blutanalysegerät, das schneller erkennen lassen soll, ob eine angewandte Krebstherapie anschlägt. Die Technologie baut auf der optischen Kernspinresonanz-Mikroskopie auf, für deren Funktionsweise Quantensensoren in Diamant ausschlaggebend sind.
Seine Forschungsgruppe habe nun ein Mikroskop entwickelt, das etwas sehr Ähnliches tue wie das MRT im Krankenhaus, fährt der Chemiker fort, nur auf sehr, sehr kleiner Längenskala und ohne ein 3D-Abbild zu machen, sondern ein 2D-Bild von einer Probe, die man auf einen speziell präparierten, winzigen Diamantchip packe. Während bei klassischen NMR-Methoden die zu untersuchende Probe – beim MRT im Krankenhaus in der Regel der ganze Körper – von einer Spule umgeben ist, die das NMR-Signal per Induktion detektiert, verwendet das NMR-Mikroskop von Karls Forschungsgruppe hierfür spezielle Quantensensoren: „In dem Diamantchip, auf dem wir die Probe, die das Signal aussendet, positionieren, befindet sich ein Ensemble an NV-Zentren.“
NV ist die Abkürzung für „Nitrogen Vacancy“ und bezeichnet einen Defekt im Diamantgitter. Im Diamant, der in Reinform zu 100 Prozent aus Kohlenstoffatomen aufgebaut ist, befindet sich dabei auf einem Gitterplatz anstatt eines Kohlenstoffatoms ein Stickstoffatom. Ist zusätzlich der benachbarte Gitterplatz unbesetzt, spricht man von einem Stickstoff-Fehlstellen-Zentrum, kurz NV-Zentrum. Die elektronische Struktur dieses atomaren Defekts führt zu speziellen Eigenschaften des NV-Zentrums, die ausschlaggebend sind für die Funktionsweise des NMR-Mikroskops. So lässt sich der Spin des NV-Zentrums, der mit dem oszillierenden Magnetfeld, das die präzedierenden Kernspins in der Probe erzeugen, interagiert, mit Mikrowellen kontrolliert verändern. Man könne das NV-Zentrum deshalb mit Hilfe spezieller Mikrowellenpulssequenzen – spezieller „Tanzanweisungen“ für den NV-Spin, wie Karl es nennt – dazu überreden, möglichst genau zuzuhören, was das NMR-Signal über mehrere Oszillationen hinweg mache, erklärt der Forscher. Rege man das NV-Zentrum zusätzlich mit Laserlicht an, fluoresziere dieses, wobei die Intensität der Fluoreszenz wiederum vom Zustand des NV-Spins abhänge. „Das erlaubt es uns letztlich, die NMR-Signale in optische Signale zu übersetzen.“ Aus dem Fluoreszenzsignal, das mit einer Hochgeschwindigkeitskamera gefilmt wird, kann das ursprüngliche NMR-Signal dann rekonstruiert werden.
Anders als beim MRT, wo zusätzlicher Aufwand betrieben werden muss, um zuordnen zu können, woher aus der Probe das Signal stammt, das die Spule detektiert, erhält man diese Lokalisierung, die für die Bildgebung benötigt wird, bei Karls Mikroskop automatisch: „Ein einzelnes NV-Zentrum im Diamantchip misst nur das NMR-Signal in der direkten Umgebung, das heißt wir bekommen ein sehr lokalisiertes Signal, das aus einer sehr kleinen Blase kommt, also aus dem sehr kleinen Probenvolumen, das sich direkt oberhalb des NV-Zentrums befindet.“ Darin spiegelt sich auch die räumliche Auflösung des Mikroskops wider. Diese liege im Bereich weniger Mikrometer, also in der Größenordnung einzelner Zellen, betont Karl. Und weil man mit einer Kamera messe, ließen sich die vielen lokalen NMR-Signale alle gleichzeitig messen: „Wir machen einen Shot, 300 Millisekunden, und haben hunderttausende NMR-Spektren.“ Ein MRT müsse hier alles nacheinander durchscannen. „Das ist ein riesen Bonus. Das ist extrem schnell, bei gleichzeitig sehr hoher räumlicher Auflösung!“
Den Vergleich mit dem MRT-Gerät nutzt Karl vor allem, um die Besonderheiten des NMR-Mikroskops zu betonen. In direkter Konkurrenz stünden die beiden Technologien nicht. „Ein MRT misst auf Distanz. Man liegt in diesem Rohr, da ist irgendwo eine Spule und man bekommt trotzdem ein Bild zum Beispiel mitten im Kopf.“ Das könne ihr Mikroskop nicht. „Unser Sensor misst sehr lokal. Für die Abbildung liegt die Probe auf dem Diamantchip.“
Mit QTAS wollen Karl und seine Kollegen nun Blutproben von Krebspatient:innen auf den Diamantchip aufbringen und die neue Technologie dazu nutzen, einzelne Tumorzellen in dieser Blutprobe zu erkennen und zu zählen. Während es in seiner Doktorarbeit darum gegangen sei, das grundlegende Prinzip der neuen Technologie zu demonstrieren, ginge es nun darum, das in eine echte Anwendung zu bringen, die man in die Klinik stellen könne und die den Leuten wirklich helfe: „Wir drehen volle Kraft voraus auf dieses Ziel, dieses Gerät zu bauen!“
Dass Karl einmal in der experimentellen Quantenphysik forschen und arbeiten würde, war nicht von Vornherein abzusehen. Zum Ende seiner Schulzeit war für ihn klar, dass er Chemie studieren will. Während seines Bachelorstudiums in Innsbruck stellte er fest, dass ihn vor allem die Physikalische und Theoretische Chemie reizten und so entschied er sich, für das Masterstudium an die TU München zu wechseln, da man sich dort genau auf diese zwei Gebiete spezialisieren konnte. Lange Zeit habe er gedacht, dass er letztlich in der Theoretischen Chemie landen würde, meint Karl: „Bis dann irgendwann Dominik in eine Vorlesung reinkam.“ Der junge Professor war gerade frisch nach München gekommen, um an der TUM eine neue Gruppe und ein neues Labor aufzubauen. Dominik Bucher habe den Studierenden erklärt, dass er Quantensensorik verwende, um NMR zu machen. Er habe nicht lange vorgetragen, sich nur kurz vorgestellt und an der Tafel skizziert, was er mache, erinnert sich Karl, und gemeint, wenn jemand nach Master-, Ph.D.-, oder Praktikumsplätzen suche, solle man sich einfach bei ihm melden – „Was ich ziemlich direkt nach der Vorlesung gemacht habe!“, sagt Karl lachend. Der kurze Pitch überzeugte den jungen Chemiker sofort und das gute Gefühl wurde bestätigt. An das mehrwöchige Praktikum habe er direkt seine Masterarbeit angeschlossen und schließlich auch die Doktorarbeit. „Ich bin einfach komplett hängen geblieben.“
Was ihm an der Arbeit in der Gruppe und letztlich an seiner Doktorarbeit so viel Spaß bereitet habe, sei einerseits die Tatsache, an etwas zu bauen, bei dem die konkrete Anwendung absehbar sei und andererseits: „Dass der Arbeitsalltag extrem abwechslungsreich ist!“ Sie hätten alles komplett selbst bauen müssen, betont Karl. Natürlich kaufe man Komponenten, aber es sei eben kein fertiges Mikroskop. „Im Prinzip ist es ein Salat an Kabeln und Komponenten, wo man von 3D-Druck bis Platinen-Design alles Mögliche macht. Ein großer Teil von meinem Job war auch, das ganze Teil zu programmieren.“
Mit QTAS sei das Spektrum an Aufgaben nun nochmal breiter geworden. Anfangs habe er Sorge gehabt, von der Technologie wegzuwandern, erzählt der junge Gründer. „Aber im Wesentlichen hat sich die Welt total erweitert.“ Er sei immer noch extrem mit der Technologie beschäftigt, müsse im Labor an Dingen rumschrauben, aber gleichzeitig gebe es nun auch andere Dinge, über die man auf einmal nachdenken müsse: Der Kontakt zu Ärztinnen und Ärzten, Gespräche mit Geldgebern außerhalb der Uni, regulatorische Sachen, Kosteneffizienz und vieles mehr.
Viel Zeit fließe auch in das sehr konkrete Planen. Es gebe eine lange Liste verschiedenster To Dos und Deadlines, die man im Blick haben müsse, weshalb sie ihre Probleme priorisieren und sehr zielorientiert lösen müssten, führt Karl weiter aus. Im Labor von QTAS gibt es deshalb aktuell auch zwei verschiedene Arbeitsplätze: Während ein großer optischer Tisch in der Mitte des Raumes dazu dient, Einzelkomponenten zu optimieren und als „Werkbank“ fungiert, auf der auch mal noch die eine oder andere Sache getestet und ausprobiert werden kann, ist in einer anderen Ecke des Labors ein relativ kompakter Aufbau zu sehen. „Das ist das Gerät wie es demnächst in die Klinik soll“, sagt der Gründer und zeigt auf den deutlich kleineren optischen Tisch, wobei weder Optiken noch Laser zu sehen sind. Sie sind unter einem schwarzen Kasten verborgen, der über den Tisch gestülpt ist und in dem sich ein silberfarbenes Gehäuse befindet, in dem wiederum der Diamantchip verbaut ist. Allzu viele Details sind von außen nicht mehr zu erkennen. Die Elektronik ist nebenan in einem hüfthohen Schrank verstaut. Dieses Gerät müsse – anders als das meist in der Forschung der Falls sei – nicht mehr von Doktorand:innen gebabysittet werden, scherzt Karl. „In drei Monaten soll es in die Klinik, bis dahin muss alles fertig kalibriert sein.“
Er sei sehr dankbar, wie alles gelaufen sei: Die Doktorarbeit mit einem Thema, das ihn total interessiere und einem super netten Team, und trotz der vielen Arbeit sei immer auch Zeit geblieben für Freunde treffen, ausgedehnte Spaziergänge mit seiner Verlobten und ihren beiden Hunden, Kochabende –„Ich bin ein totaler Foodie“, räumt Karl ein – oder den ein oder anderen Ausflug in die Berge. Mit QTAS gehe es nun spannend weiter. „Ich bin sehr froh, dass ich die Chance habe, das zu machen. Ich glaube, das wird eine total coole und wilde Fahrt!“
Veröffentlicht am 26. September 2025; Interview am 18. August 2025.