„Ich habe das Gefühl, ich bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort“

Mit Optimismus für die ferne Zukunft programmieren

Als Kind wollte Leon Sander Astronaut werden, heute ist er theoretischer Physiker mit Leidenschaft. Seine Forschung ist für ihn eine Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen und dabei einen kleinen Teil zu einer großen Entwicklung beizutragen.

Von Veronika Aechter

Es ist der 23. Oktober 2019, Leon Sander sitzt im Büro von Prof. Michael J. Hartmann zum Vorgespräch für seine Bachelorarbeit. Plötzlich steht das Telefon nicht mehr still. Journalisten rufen an, um von Hartmann ein Statement zu dem gerade veröffentlichten Google-Paper zur Quantenüberlegenheit zu bekommen, an dem der bayerische Quantenforscher beteiligt war. „Da hatte ich das Gefühl, dass ich genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin“, erinnert sich Leon. Dieses Gefühl hat er bis heute – mittlerweile promoviert er an Hartmanns Lehrstuhl für Theoretische Physik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Auf einem Tisch in der Ecke seines Büros, das sich Leon mit zwei weiteren Doktoranden teilt, fällt einem eine kleine blaue Espressomaschine ins Auge, die ein wenig aussieht wie ein Roboter vergangener Tage. Kenner wissen sofort, um welches Modell es sich handelt und dass es die Vermutung nahelegt, Leon sei ein Kaffee-Nerd. Kaffeewage und Handmühle daneben verstärken diesen Verdacht, den der Physiker lachend bestätigen kann. Auch beim Kaffeekochen kann man so lange mit den Variablen experimentieren, bis das Ergebnis passt. Ähnlich, wie in Leons Forschung.

An der Physik hat Leon schon seit seiner Schulzeit Spaß. Das lag auch an einem guten Lehrer, der sich spannende Themen für seinen nur sehr kleinen Physik-Kurs in der Oberstufe einfallen ließ. So kam er auch in der Schule das erste Mal in Berührung mit der Quantenphysik – allerdings war ausgerechnet dieser Bereich damals im Abi seine größte Schwäche, erzählt er lachend. „Ich glaube, ich habe mich am Anfang etwas dagegen gewehrt. Ich dachte, dass es für diese Effekte doch eine bessere Erklärung geben muss“, sagt der heute 24-Jährige rückblickend. Aber genau das sei es, was ihn am Ende dann doch fasziniert und zu diesem Thema hingezogen habe.

Coding als Selbstverwirklichung

In seiner eigenen Forschung beschäftigt sich Leon mit Machine Learning Modellen und Neuronalen Netzwerken. „Genauer gesagt, forsche ich an Quantum Convolutional Neural Networks (QCNNs), also gefalteten Neuronalen Netzwerken. Das ist ein relativ neues Konzept“, erklärt der Doktorand. Bisher wurden QCNNs vorrangig für eindimensionale Spinketten angewandt, Leon arbeitet an der Anwendung auf zweidimensionale Systeme.

Er setzt sich vor seinen Computer und tippt kurz ein paar Zeilen Code in die Befehlszeile. „Ich versuche, eine Reihenfolge an Prozeduren zu finden, durch die sich aus einem komplexen Quantensystem effizient Eigenschaften auslesen lassen. Ein QCNN hilft dabei, indem es die jeweilige Eigenschaft sozusagen erkennt und so entwickelt, dass die Information mit deutlich weniger Messungen als traditionell ausgelesen werden kann. Dafür plotte ich zweidimensionale Qubit-Gitter und bringe Operationen auf diese Gitter“, fasst Leon sein Forschungsvorhaben zusammen. Mit seiner Freundin scherzt er, er würde 4-Gewinnt spielen, seit diese ihm einmal im Homeoffice über die Schulter geschaut hat. Und tatsächlich: Leon drückt nochmal auf Eingabe und auf seinem Bildschirm erscheinen seine Gatter, Quadrate aus roten und blauen Kreisen, die eindeutig an das Spiel erinnern.

Leon Sander, 24


Position

Doktorand


Institut

FAU - Lehrstuhl für Quantentheorie
HAT


Studium

Physik


Leon forscht an Quantum Convolutional Neural Networks (QCNNs), gefalteten neuronalen Netzwerken. Er möchte Prozeduren finden, die Eigenschaften von Quantensystemen effizient erkennen und auslesen können. Durch solche Prozeduren soll in Zukunft die Charakterisierung von komplexen Quantensystemen erleichtert werden.

Am Computer kann Leon seiner Kreativität freien Lauf lassen. Seine Plots erinnern dabei an ein beliebtes Kinderspiel.

Bei der Frage, ob die theoretische Physik nicht, nun ja, vielleicht etwas trocken sei, blüht der zuvor zurückhaltende Doktorand auf: „Es steckt sehr viel Kreativität in meiner Arbeit! Ich bin unglaublich frei in dem, was ich alles ausprobieren kann“, erzählt er mit Nachdruck und blitzenden Augen. Für ihn sei das eine Form von Selbstverwirklichung. Das sei schließlich das tolle an der Physik, dass es so viele Wege gibt, ein Problem zu lösen. Und wenn sich ein Problem einmal nicht so einfach lösen lässt? „Ganz klischeehaft: Ich kann tatsächlich sehr gut neue Ideen unter der Dusche finden“, lacht Leon.

Zurück zum Machine Learning: Wie unterscheidet sich eigentlich Quantum Machine Learning von klassischem Machine Learning? In erster Linie dadurch, dass klassisches Machine Learning schon sehr gut funktioniere, meint Leon. Mit ChatGPT und Netzwerken wie Stable Diffusion erlebt dieser Bereich gerade eine Menge Aufmerksamkeit. Der Vorteil dieser Netzwerke ist, dass sie sich sehr gut trainieren lassen.

„Quantum Neural Networks (QNNs) haben sehr viel Potenzial, sie sind sehr expressiv“, erklärt der Doktorand. „Die Crux ist aber, dass sie schwer trainierbar sind“, schränkt er ein. Hier kommen die gefalteten Neuralen Netzwerke, die QCNNs, ins Spiel, an denen Leon forscht: „Die QCNNs haben eine freundlichere Parameter-Landschaft als QNNs. Sie haben eben diese Trainierbarkeit, die den nicht gefalteten Netzwerken abgeht.“ Sogenannte barren plateaus, Regionen in der Parameter-Landschaft, an denen die Parameter keinen Einfluss auf den Output haben und nicht optimiert werden können, gibt es bei den QCNNs im Vergleich mit QNNs nicht.

Ein Problem bestehe jedoch derzeit, führt Leon weiter aus: „Die Systeme werden sehr schnell sehr groß. Ich schaue mir sehr unrealistische Systeme an, die in weiter Ferne liegen, was die Größe angeht.“ Mit Vorstellungen zu arbeiten, deren Anwendbarkeit noch nicht absehbar ist, beschreibt Leon als ein interessantes Gefühl. Dazu gehöre auch eine gute Portion Optimismus, dass er nicht in die falsche Richtung läuft. Und ohnehin – man müsse schließlich Systeme auch deshalb anschauen, um zu wissen, was nicht geht.

„Ich bin stolz, dass ich hier bin“

Überhaupt zu wissen, ob man auf dem richtigen Weg ist: Dafür sei der Austausch mit Kolleg:innen entscheidend. Im Alleingang sei es schwer, auf einen grünen Zweig zu kommen, meint der Doktorand. Schnell herauszufinden, wer einen bei einem Problem unterstützen kann, würde er allen angehenden Doktorand:innen als Tipp mit auf den Weg geben. Da hilft es ihm, dass er schon seine Bachelor- und Masterarbeit in der Gruppe geschrieben hat, in der er seit Dezember 2022 an seiner Promotion arbeitet.

Er betont die unterschiedlichen Denkweisen, die an seinem Lehrstuhl zusammenkommen: „Es gibt Leute, die sind sehr gut mit Bleistift und Papier. Es gibt Leute, die sehr visuell denken. Andere, dazu würde ich mich zählen, sind gut in Simulation und Coding. Von all diesen Richtungen zu profitieren, ist das Wichtigste.“ Dazu kommt der Wissensaustausch, den das Netzwerk des Munich Quantum Valley über den eigenen Lehrstuhl hinaus bieten kann, den er sehr zu schätzen weiß. Außerdem sei auch ein gewisser Stolz dabei, an so einem bayerischen Projekt teilzunehmen.

Und Stolz auf die eigene Arbeit? Den empfinde er, wenn er an die Präsentation seiner Masterarbeit vor rund 70 Personen auf der DPG-Tagung zurückdenkt, erzählt er nach kurzem Überlegen. Seine eigene Forschung vor anderen zu vertreten, für seine Ideen einzustehen und sich dem Feedback auszusetzen, sei schon eine Herausforderung, findet er. „Das hört sich erstmal widersprüchlich an, aber ich mag das gleichzeitig auch sehr gerne. Das Gefühl im Nachhinein einer Präsentation ist dann immer toll“.

Ein kleiner Teil im Großen Ganzen

Nicht wissen, wohin der Weg führt und dabei doch sicher sein, einen Teil zu einer bedeutsamen Entwicklung beizutragen, so fasst Leon schließlich die Motivation für seine aktuelle Forschung zusammen. Quantencomputing sei zwar aktuell ein riesiger Hype, doch das Potenzial zu großen Weltveränderungen räumt Leon durchaus ein. Den Wunsch für die eigene Karriere sieht er aber erstmal bodenständiger: „Gut durch die Promotion kommen“, sagt er und lacht.

Und weiter? Mal sehen. „Wenn ich in der Forschung bleibe, ist der nächste Schritt auf jeden Fall, ins Ausland zu gehen. Während meinem Studium stand mir da leider Corona im Weg.“ Frankreich oder Belgien könnte er sich gut vorstellen – seine Freundin ist Französin, die Sprachbarriere sei also schonmal kein Problem. „Das Schöne an der Quantenphysik ist ja, dass der Bereich so offen ist. Wo ich am Ende lande – da bin ich ganz flexibel.“

 

Veröffentlicht am 21.07.2023; Interview am 19.04.2023