„Physik ist für mich reale Magie“

Erforschen, wie die Welt funktioniert

Die Wirklichkeit zu verstehen und aktiv an deren Gestaltung mitwirken, treibt Timo Eckstein an. In seiner Promotion entwickelt er daher Quantenalgorithmen für das Computing der Zukunft. Nebenbei entschärft er gerne brenzlige Situationen – als Sprecher der Promovierenden der FAU ebenso wie bei der freiwilligen Feuerwehr.

Von Veronika Aechter

Vollgeschriebene Tafeln und wissenschaftliche Poster wechseln sich ab an den Flurwänden des Lehrstuhls für Quantentheorie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). In einem Zimmer auf der obersten Etage sitzt Timo Eckstein in seinem Büro und blickt konzentriert auf den Bildschirm. Der 28-Jährige ist Doktorand in der Gruppe von Prof. Michael J. Hartmann, gerade wurde das zweite Paper im Rahmen seiner Promotion als Preprint veröffentlicht.

Dass Physik erst ab der siebten Klasse auf dem Stundenplan steht, findet Timo schade. „In der Grundschule bekommt man ab der ersten Klasse Religionsunterricht, aber die Naturwissenschaften kommen erst später dazu. Dabei wäre das aus meiner Sicht ein guter Weg, Kinder früh für Natur und Technik zu begeistern“, sagt der Doktorand. Für ihn hat das auch viel mit einem allgemeinen Verständnis der Realität zu tun: „Phantasiegeschichte versus Wirklichkeit quasi.“ Er räumt ein, dass das natürlich eine sehr absolute Aussage sei; jeder solle glauben, woran er möchte – eine naturwissenschaftliche Grundbildung hält er trotzdem für gesellschaftlich sehr wichtig, auch beispielsweise mit Blick auf aktuelle Debatten zum Klimawandel.

Dazu gehört für Timo auch, naturwissenschaftliche Bildung für Personen mit verschiedenen Hintergründen zugänglich zu machen, die bisher in der Forschung unterrepräsentiert sind. Beispielsweise für Kinder, deren Eltern keinen Universitätsabschluss haben: „Da wäre es doch gut, wenn man die schon in der Schule begeistern könnte“. Er selbst hat als Schüler am Netzwerk Teilchenwelt, einem Projekt, bei dem Jugendliche Einblicke in die Teilchenphysik bekommen können, teilgenommen. Als Student hat er später im gleichen Projekt sein Wissen weitergegeben. Etwas Ähnliches möchte er aktuell für das Thema Quantenmechanik auf die Beine stellen. Sich in der Wissenschaftskommunikation zu engagieren hat für ihn den zusätzlichen Vorteil, sein eigenes Wissen zu testen: „Wenn ich nicht jemandem mit weniger Vorwissen erklären kann, was ich tue, muss ich mir noch einmal überlegen, ob ich das selbst wirklich verstanden habe.“

Entdecker in der Quantenwelt

Das Interesse, wie die Realität funktioniert, ist das was Timo antreibt. Gerade in der Quantenphysik, die ihn dazu motiviert, seine Intuition und sein Realitätsverständnis in Frage zu stellen und seinen Horizont zu erweitern. „Für mich ist die Physik ein Stück weit real-world Magie“, gerät Timo ins Schwärmen. „Aus vorhandenem Wissen mehr Wissen zu erzeugen, finde ich sehr faszinierend.“ Gerade das Thema Quanten sei wie eine versteckte Welt: „Wie eine Wissensweltkarte und man kann selbst ein bisschen Kolumbus spielen“, sagt er und seine Begeisterung, einen kleinen Anteil an der Entdeckung dieser Welt zu haben, ist deutlich zu spüren.

Konkret heißt das für ihn, in seiner Forschung festzustellen, ob ein bestimmter Quanten-Algorithmus tatsächlich vorteilhafter ist als sein klassisches Äquivalent oder welche Voraussetzungen in der Zukunft für einen Vorteil gegeben sein müssten. Dafür untersucht er Quanten-Assembler-Algorithmen. Er zieht den Vergleich zur Entwicklung des klassischen Computings, und erklärt, mit Quantencomputing sei man gerade in der "Assembler-Ära". Aktuell versuche man also gewissermaßen jede einzelne Quanten-Operation optimal auszuzwählen, um am Ende trotz Fehlern auf ein sinnvolles Ergebnis zu kommen. „Ich genieße es durchaus, nicht notwendigerweise an die jetzige Hardware gebunden zu sein und auch an Ideen arbeiten zu können, für welche die Quantenhardware vielleicht in fünf oder zehn Jahren ausreichend entwickelt sein wird“, fügt er hinzu.

Timo Eckstein, 28


Position

Doktorand


Institut

FAU - Lehrstuhl für Quantentheorie
MPL - IMPRS
THEQUCO


Studium

Physik


Timo untersucht in seiner Forschung Quanten-Assembler-Algorithmen. Er möchte herausfinden, unter welchen Bedingungen ein Quanten-Algorithmus Vorteile gegenüber einem klassischen Algorithmus hat. Neue Algorithmus-Ideen oder Verbesserungen rechnet er dabei für kleine Systeme numerisch aus, bevor sie mit klassischer High-Performance-Hardware und schließlich Quantenhardware für größer skalierte Quantensysteme überprüft werden.

Zahlreiche vollgeschriebene Tafeln schmücken den Lehrstuhl für Quantentheorie – offensichtlich werden sie gerne genutzt.

In seinem aktuellen Projekt konnte der Doktorand seine Algorithmus-Idee über numerische Demonstrationen bis zur Hardware-Demonstration verfolgen. „Diesen kompletten Workflow zu haben, war sehr interessant“, erzählt Timo. „Es ist auch sehr lehrreich zu verstehen, was die heutige Hardware schon kann.“ Und in diesem Fall lief es ziemlich gut: „Unser Algorithmus schien bei 20 Qubits auf echter Ionenfallen-Hardware immer noch nicht ganz ausgereizt“, freut er sich.

Wenn Timo über seine Forschung spricht, redet er auch viel von der Quanten-Community. Dieser Teamgedanke ist es, der seiner Meinung nach gute Ergebnisse auch erst möglich macht. Insbesondere bei immer komplexer werdenden Experimenten und Projekten sind Kollaborationen wichtig – „das liest sich heute teilweise wie ein Adressbuch“, sagt Timo und lacht. Die Zusammenarbeit mit anderen Quantenforscher:innen schätzt er auch an der FAU und als Teil des Munich Quantum Valleys. Die Berufung von Wisseschaftler:innen aus dem Bereich Quantencomputing in Professuren, zum Teil im Rahmen des MQV, war für ihn ein Argument, zur Promotion in Erlangen zu bleiben.

Ruhig bleiben, wenn es brenzlig wird

Auch außerhalb der Uni ist dem Doktoranden Teamgeist wichtig. In seiner Freizeit engagiert er sich bei der Freiwilligen Feuerwehr – führ ihn der optimale Ausgleich zur Promotion: „Ich finde super, dass da Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen zusammenkommen mit einem gemeinsamen Ziel: Menschen in Notsituationen zu helfen.“ Außerdem komme er so raus aus seiner akademischen Blase, lerne Verständnis für vielerlei Perspektiven zu haben. Bei seinem stressigen Alltag in der Uni hilft ihm sein Ehrenamt auch: „Ich habe bei der Feuerwehr gelernt, in Stresssituationen entspannter zu bleiben. Wenn du da nicht entspannt bleibst, hast du ja schon verloren.“

Für andere Hobbies bleibt neben Promotion und Feuerwehr kaum noch Zeit, denn nebenher ist der Doktorand auch noch in anderen, Uni-bezogenen Ehrenämtern aktiv. Unter anderem ist er seit 2021 Sprecher der Promovierendenvertretung. „Ich finde schon wichtig, dass man neben der Promotion noch ein bisschen was anderes macht“, erzählt er. „Andere Leute machen Sport. Ich werde meine überschüssige Energie eben los, indem ich mich für Promovierendenrechte einsetze“, sagt er und lacht. Besonders liegen ihm dabei die Arbeitsbedingungen von Promovierenden am Herzen. Er vergleicht die Promotion mit sozialen Berufen: Viele würden aus Überzeugung arbeiten und dabei – und gerade deswegen – nicht angemessen bezahlt werden. „Aber wer die besten Forschenden will, muss entsprechend auch die besten Arbeitsbedingungen bieten“, fasst er sein Anliegen zusammen und betont, dass angemessene Bezahlung auch ein entscheidendes Instrument ist, um Spitzenforschung in Deutschland zu halten.

Seine Beteiligung an der International Association of Physics Students (IAPS) und der jungen Deutschen Physikalischen Gesellschaft (jDPG) versuche er gerade langsam herunterzufahren. Doch insbesondere die Exkursionen und Veranstaltungen im Rahmen der IAPS möchte Timo auf keinen Fall missen. „Es war immer cool, Studierende aus der ganzen Welt zu treffen. Man hat sich einfach gut verstanden, weil man dieses Interesse an der Physik geteilt hat. Die ICPS (International Conference of Physics Students) war in meiner Studiumszeit schon etwas ziemlich Besonderes.“ Seine liebste Erinnerung an diese Veranstaltungen sei ein internationaler Koch-Abend, an dem jede:r etwas aus der eigenen Heimatregion mitbringt. „Mein Klassiker war immer Obazda“, erzählt Timo. „Das ist einfach und käsemäßig hatte man überall eine ganz gute Auswahl. Auch in Los Alamos habe ich das gemacht, da hat der Käse aber 15 Dollar gekostet – das war ein goldener Obazda!“

"Oft ist eine gute Portion Glück dabei"

BMBF-Stipendium, FAU Leonardo-Kolleg, ESRF/ILL-Summer School, FAU-Bachelor-Award, Fulbright-Stipendium, Erasmus-Stipendium, Finale des Rhodes-Stipendium, deutschlandweiter Master-Award, LANL-Summer School – die Liste der Auszeichnungen und Stipendien, die der Doktorand einheimsen konnte, ist lang. „Besonders für die Summer School in Los Alamos ausgewählt zu werden hat mich ziemlich gefreut. Nicht zuletzt, weil sich bei all diesen Dingen ja auch andere gute Leute beworben haben, die das genauso verdient gehabt hätten“, erzählt Timo. „Da gehört eben auch immer eine Portion Glück dazu.“ Außerdem habe er sich einfach für sehr viele Dinge beworben: „Die Dinge, die am Ende nicht geklappt haben, stehen natürlich nicht im Lebenslauf. Die Misserfolge gehören genauso dazu.“ Das im Hinterkopf zu behalten sei auch besonders wichtig in Bezug auf die eigene mentale Gesundheit: „Wenn du immer nur siehst, was bei allen anderen toll läuft, kann das auch runterziehen. Da ist schon gut, wenn einem bewusst ist, dass das eben die Dinge sind, die geklappt haben. Alles andere ist nur nicht Teil der Story.“

Timos größte Empfehlung für andere angehende Wissenschaftler:innen: Sich schon möglichst früh, spätestens im Masterstudium damit auseinandersetzen, ob und wo man sich später als Doktorand:in sehen könnte – und dort möglichst schon die Masterarbeit zu schreiben. Er selbst hat seine Masterarbeit im Bereich der Laserphysik geschrieben und kam erst später an Prof. Michael J. Hartmanns Lehrstuhl. „Menschlich und von der Motivation her hat der Lehrstuhl für meine Masterarbeit super gepasst. Auch fachlich war es spannend. Im Nachhinein betrachtet, habe ich mir das aber vielleicht nicht detailliert genug überlegt. Heute sehe ich viele Vorteile darin, beim Masterarbeits-Lehrstuhl auch zur Promotion zu bleiben, man hat dann gewissermaßen ein Jahr Vorsprung. Man kennt die Kultur und die Leute.“ Dass ihm Hartmann dennoch das Vertrauen entgegengebracht habe, schätze er sehr. Wenn sich also Studierende für seinen Fachbereich interessieren, sollen sie sich gerne melden: „Auf gute Leute warten bei uns immer spannende Themen“.

 

Veröffentlicht am 25. August 2023; Interview am 19. April 2023